Aegean Boat Report

Refugees rescued from boat on Lesvos

Aegean Boat Report – Wie ein Norweger Push-Backs auf dem Mittelmeer aufdeckt

“Warum ich mit diesem Projekt begonnen habe?” – Diese Frage ist keine ganz einfache für Tommy Olsen, den Gründer der norwegischen Organisation “Aegean Boat Report”. “Bei meiner vorherigen Arbeit auf Lesbos habe ich Dinge gesehen, die die meisten Menschen, glaube ich, nie erleben werden.”, erzählt er.

2015 und 2016 war er Volunteer auf der griechischen Insel Lesbos, wo er am Höhepunkt der damaligen Fluchtbewegung nach Europa Schlauchboote mit Geflüchteten am Strand empfing. Er half den Booten beim Anlegen und verteilte Decken und Wasser an die Überlebenden. Eine Zeit, die für ihn sehr prägend war.

Heute ist er mit seiner NGO “Aegean Boat Report” über seine Rund-um-die-Uhr-Hotline eine essenzielle Anlaufstelle für Geflüchtete, die in Seenot geraten oder auf einer der griechischen Inseln ankommen. ABR ist außerdem die primäre Organisation, die die unrechtmäßigen und oft gewaltvollen Pushbacks von Schutzsuchenden dokumentiert, veröffentlicht und an internationale Presse und Forscher*innen meldet. Es gibt keine andere Organisation, die so zuverlässige und umfassende Infos bereitstellt.

Pushbacks sind gemäß europäischem und internationalem Recht illegal. Alle Menschen haben in jedem europäischen Land das Recht, Asyl zu suchen, wenn sie anderswo gefährdet sind und haben damit ebenso das Recht auf Prüfung ihres Asylantrags. Dennoch sind unrechtmäßige Zurückweisungen an Europas Außengrenzen zur Normalität geworden.

Tommy will dem Sterben und der Ungerechtigkeit entgegenwirken und ist mit Aegean Boat Report 24/7 auf Abruf. Seine Hotline wird von Menschen genutzt, die gerade auf den griechischen Inseln ankommen und Unterstützung suchen, aber auch von in Seenot geratenen Personen auf dem Meer. Die meisten haben Angst, sich direkt bei den griechischen Behörden zu melden. Tommy informiert dann die verantwortlichen Seenotrettungsstellen über die Hilferufe.

Supporters on Lesvos helping refugees

“Ich erhalte jede Woche mehrere hundert Anrufe”, sagt Tommy. “Und jedes Mal dokumentiere ich alles. Die Anrufe sind meine Hauptquelle für meine Informationen über Ankünfte und Pushbacks.”

Aegean Boat Report veröffentlicht kontinuierlich Daten und Vorfälle. Sowohl Journalist*innen als auch Forscher*innen stützen ihre Recherchen auf seine Arbeit. Der griechischen Regierung gefällt das nicht, denn er macht auf die Missstände und die illegalen Zurückdrängungen durch Behörden aufmerksam und übt dadurch unermüdlich Druck aus.

“Der Druck durch die internationale Presse ist der Grund, warum die griechische Regierung meine Seite abschalten will”, erklärt Tommy. “Ich schade ihrem Ruf mit meiner Arbeit.”

Das Problem der Informationslücken

NGOs und humanitäre Projekte, verlassen sich bei ihrer Arbeit auf Informationen zu Ankünften, Notfällen auf dem Wasser und Push-Backs. Allerdings sind Informationen über die Situation von Geflüchteten in der Ägäis weiterhin sehr schwer zugänglich. Es existieren keine offiziellen Daten, die die Situation sowohl in der Türkei als auch in Griechenland dokumentieren. Tommys NGO ist die einzige, die seit 2017 kontinuierlich daran arbeitet, diese Lücke zu schließen, indem er akribisch Daten zu ankommenden Booten, Abschiebungen und der Anzahl der Geflüchteten dokumentiert und veröffentlicht.

Warum ist ihm die Aufklärung über jeden einzelnen Fall so wichtig? “Ungerechtigkeit macht mich wütend – und wenn diese Ungerechtigkeit Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft und ihrer Religion widerfährt, dann werde ich richtig wütend. Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum ich Aegean Boat Report gegründet habe.”, sagt Tommy. Er ist oft in Kontakt mit Journalist*innen von großen Zeitungen und Sendern, die seine Informationen aufgreifen und darüber öffentliche Aufmerksamkeit und politischen Druck erzeugen.

Die Relevanz von Tommys Projekt geht über die Ägäis hinaus – sie ist von entscheidender Bedeutung für den Kampf gegen eine menschenverachtende EU-Sicherheitspolitik. Tommys Antrieb besteht auch aus der Sorge vor einem beängstigenden gesellschaftlichen Wandel.

„Nach dem Zweiten Weltkrieg war allen klar, dass solche Grausamkeiten nie wieder in Europa passieren durften“, sagt Tommy. „Und doch fangen wir jetzt an, die gleichen Fehler wieder zu begehen, das macht mir wirklich Angst.“

Tommy betreibt Aegean Boat Report alleine und finanziert sich nur durch Spenden. Gemeinsam mit euch unterstützen wir Tommy dabei, seine Arbeit 2024 fortsetzen zu können.