Interview – „Frauen sind der Überwachung der Taliban vollkommen ausgeliefert“
Oktober 7, 2024
Der europäische Gerichtshof hat entschieden, dass allen afghanischen Frauen in der EU Asyl zusteht. Vollständiges Arbeitsverbot, Verdrängung aus der Öffentlichkeit, den Gefahren von Zwangsehen und Misshandlung ausgesetzt – Dass Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts in Afghanistan durch die „Regierung“ der radikal-islamistischen Taliban stark bedroht sind, steht außer Frage. Unzählige Geschichten zeigen, wie dringend notwendig und überfällig diese Entscheidung war.
Emron Feroz hat für uns mit Kathera* gesprochen, einer Frau aus Mazar-e-Sharif, die früher mal ihren eigenen Schönheitssalon führte – bis sie von den Taliban bedroht und zum Schließen gezwungen wurde.
Wann und warum eröffneten Sie ihren Schönheitssalon? Wie war Ihr Arbeitsalltag?
Ich habe meinen Salon vor rund sechs Jahren eröffnet, um für meine Familie Geld zu verdienen. Mein Mann ist körperlich behindert und konnte nicht für uns sorgen. Die ganze Verantwortung lag bei mir. Gleichzeitig war es mir wichtig, als afghanische Frau unabhängig arbeiten zu können.
Mein Arbeitsalltag war stressig und schön zu gleich. Ich hatte 15 junge Frauen, die als Azubis für mich tätig waren. Es war schön zu wissen, dass unsere Arbeit auch für deren Familien eine Stütze war. Wir hatten viel zu tun. Damals gab es noch viele Hochzeiten, Familienfeiern oder Abschlusszeremonien an Schulen und Universitäten. Außerdem wollten viele Afghaninnen auch in ihrer Freizeit schön aussehen. Unser Geschäft lief gut und wir waren glücklich. Mir blieben meist abzüglich aller Kosten rund 20.000 Afs (200€) im Monat. Das war mehr als genug, um über die Runden zu kommen.
Dann kehrten die Taliban zurück. Rund zwei Jahre nach ihrer Rückkehr verkündeten sie ein Berufsverbot. Alle Schönheitssalons im Land mussten schließen. Wie war das für Sie?
Es war eine Katastrophe und sie betraf nicht nur uns, sondern Zehntausende von Schönheitssalons im gesamten Land. Unsere Salons gehörten zu den letzten unabhängigen Frauenwirtschaften Afghanistans. Außerdem waren sie ein „sicherer Platz“ („safe space“) für Afghaninnen. Bei uns fühlten sich Studentinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen, Beamtinnen und andere Frauen sicher. Sie erzählten von ihrem Alltag, ließen sich über ihre Ehemänner aus oder entspannten einfach nur und freuten sich auf irgendeine anstehende Feier. Die Taliban stellten Schönheitssalons mit Bordellen gleich, doch in Wahrheit können sie es einfach nicht vertragen, wenn afghanische Frauen unabhängig arbeiten.
Wie ging es nach dem Dekret für Sie weiter?
Ich habe mich anfangs nicht daran gehalten. Prompt folgten Drohungen. Außerdem wurde ich von Frauen, vermeintlichen Kundinnen, aufgesucht, die für die Taliban arbeiteten. Es gab Einschüchterungen und Hausdurchsuchungen. Letzten Endes wurde mein Salon mit Gewalt zugesperrt. Unsere Arbeitsutensilien wurden beschlagnahmt und/oder zerstört. Arbeitsdokumente und alle möglichen Daten, die wir auf unseren Handys hatten, wurden vernichtet. „Wenn wir euch wieder bei dieser Arbeit erwischen, wird es schlimm für euch werden!“ , hieß seitens der Taliban.
Ich verlegte meine Arbeit daraufhin nach Hause. Die meisten Azubis musste ich schweren Herzens entlassen. Anfangs besuchten mich noch einige Stammkunden. Doch die Angst vor der Sittenpolizei und dem Geheimdienst der Taliban war zu groß. Das Geschäft brach ein.
Wovon leben Sie gegenwärtig?
Ich versuche, als Schneiderin über die Runden zu kommen. Auch das ist schwer, denn meist kann ich nicht einmal mehr problemlos einkaufen gehen. Die Bewegungsfreiheit in Mazar-e Sharif wurde für Frauen massiv eingeschränkt. Sie sind kaum noch auf den Straßen sichtbar und der Überwachung der Taliban vollkommen ausgeliefert. Wer sich ohne männliche Begleitung fortbewegt, hat mit Problemen und Belästigungen zu kämpfen.
Was sind Ihre Zukunftspläne?
Ich sorge mich in erster Linie um die Zukunft meiner Töchter. Was soll aus ihnen hier werden? Einige meiner Verwandten sind geflüchtet und schlagen sich im Iran und in der Türkei durch. Auch ihr Alltag ist nicht schön. Vielleicht bin ich gezwungen, denselben Weg einzugehen.
*Name aus Schutz-Gründen geändert
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