Perspektivwechsel #2: Gedanken zur Ukraine
März 20, 2025

von Anton Yaremchuk, Filmemacher / Mitbegründer von Base UA / Humanitärer Aktivist
Es ist bedauerlich, dass ausgerechnet ein de-facto-Populist wie Friedrich Merz und eine zunehmend nach rechts driftende, inkonsequente CDU inzwischen die einzige Partei in Deutschland ist, die an der Spitze eine realistische Position zur Ukraine vertritt. Die Linke hat einen unerwarteten Wahlerfolg gefeiert, doch sie bleibt eine Partei, die Waffenlieferungen an die Ukraine aus einer dogmatisch pazifistischen Haltung heraus kategorisch ablehnt – eine Position, die angesichts der Lage vor Ort kaum vertretbar ist. Das darf man nicht aus den Augen verlieren. Die Linken machen sich damit unglaubwürdig.
Während in Deutschland Schein-Debatten über einen „Notstand“ durch Migration aus Afrika und dem Nahen Osten geführt werden, wird oft übersehen, dass die mit Abstand größte Gruppe von Geflüchteten derzeit aus der Ukraine kommt – 1,170,250 allein in Deutschland. Wenn Europa – mit Deutschland an der Spitze – nicht den Mut aufbringt, eine neue sicherheitspolitische Vision zu entwickeln, die unabhängig von US-Militärbündnissen ist, könnte es bald zu spät sein, die dafür notwendigen tiefgreifenden Reformen und Umstrukturierungen einzuleiten.
Die Folgen der deutschen Wahlen sind daher unmittelbar mit der Bereitschaft der neuen Koalition und des Parlaments verknüpft, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa aus seiner sicherheitspolitischen Komfortzone herauszuführen. Angesichts der zunehmend gefährlichen weltpolitischen Lage ist es unerlässlich, massive Investitionen in die Verteidigung, in europäische Koordinationsmechanismen und in eine eigenständige militärische Logistik ohne die USA zu fördern. Ebenso entscheidend ist es, Russland wirtschaftlich zu schwächen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die EU im Jahr 2024 mehr Geld für russisches Gas und Öl ausgegeben hat, als sie insgesamt an Unterstützung für die Ukraine bereitgestellt hat.
Es bleibt fraglich, ob Europa die notwendige sicherheitspolitische Neuausrichtung tatsächlich umsetzen kann. Die starke Verhaftung im Status quo erweist sich als ein schwer überwindbares Hindernis. Die Zeit visionärer Führungspersönlichkeiten in zentralen politischen Ämtern – selbst wenn sie oft umstritten waren – scheint vorbei zu sein. Man hätte erwarten können, dass das 21. Jahrhundert den Aufstieg kompetenter, technokratischer und dezentralisierter Regierungsstrukturen mit menschlichem Gesicht ermöglicht. Doch stattdessen setzt sich eine postmoderne Wiederholung historischer Muster fort, die grundlegenden Wandel erschwert. Der einzige Wandel, den wir sehr effektiv nach vorne bringen, ist der Klimawandel.
Angela Merkel zeigt sich in ihrem jüngsten Buch Freiheit überraschend unkritisch gegenüber ihrer eigenen Russlandpolitik. Statt eine differenzierte Aufarbeitung ihrer außenpolitischen Entscheidungen zu liefern, wiederholt sie zentrale Narrative der russischen Propaganda und verteidigt ihren langjährigen Kurs gegenüber Moskau. Dabei muss man fairerweise anerkennen, dass diese Politik nicht von ihr erfunden wurde, sondern vielmehr eine Fortsetzung der deutschen Tradition war, stabile Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten – unabhängig von dessen geopolitischem Handeln – und seinen imperialistischen Einfluss in Osteuropa, auch auf Kosten von anderen Ländern, weitgehend zu akzeptieren.
Letztlich sind Politiker nur die Spitze des Eisbergs. Die größte Herausforderung liegt in der Gesellschaft selbst. In einer Welt, in der Konflikte, Klimakrisen, kriminelles und ethisch inakzeptables Verhalten rund um die Uhr übertragen werden, scheinen wir paradoxerweise entfremdeter denn je. Es mangelt an der Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen, sich mit der Komplexität der Herausforderungen auseinanderzusetzen und Narrative zu hinterfragen, mit denen man sich einst identifizierte – selbst wenn sich die Zeiten grundlegend gewandelt haben.
Unter diesen Bedingungen erscheint es fraglich, wie europäische Führungspersönlichkeiten breite Unterstützung für die existenziellen, langfristigen Transformationen gewinnen sollen. Und auf den Straßen von Berlin sind kaum Menschen zu sehen, die bereit wären, für Demokratie und echte Freiheit zu kämpfen – nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz konkret.
Related News
Wir werden aktiv, wo Staaten versagen. Aber nur mit deiner Unterstützung!
Mit unserer Arbeit üben wir Druck auf die deutsche Politik aus, Verantwortung zu übernehmen und endlich etwas zu ändern! Eure Spenden werden für die #LeaveNoOneBehind-Kampagne eingesetzt: Für unsere eigenen Projekte, sowie für geförderte Projekte und Organisationen, die dringend notwendige Unterstützung an den EU-Außengrenzen und auf den Fluchtrouten leisten.