Kontrollen, Zurückweisungen, Pushbacks – Wie deutsche Grenzen zu rechtsfreien Räumen werden
Mai 2, 2024
Wenn wir das Wort “Pushback” hören, denken wir meistens zuerst an die gewaltvolle Abweisung Geflüchteter etwa auf dem Mittelmeer oder auf der Balkanroute, wo die Außengrenzen der EU zu immer höheren Mauern wachsen. Doch Pushbacks gibt es auch innerhalb der EU, innerhalb des Schengenraums – da, wo es eigentlich keine Grenzen mehr gibt, wo wir Freizügigkeit genießen und den europäischen Traum leben. Tatsächlich sind sowohl die bayerische Grenze zu Österreich als auch Brandenburgs Grenze zu Polen inzwischen durchgehend kontrolliert und entwickeln sich zunehmend zu rechtsfreien Räumen.
Wir haben mit Robert von unserer Partnerorganisation Equal Rights Beyond Borders über die Situation an Deutschlands EU-Binnengrenzen gesprochen. Er erklärt, was sogenannte “Zurückweisungen” sind und wieso diese inzwischen gängige Praxis gegen EU-Recht verstößt.
- Was versteht man unter einer “Zurückweisung” und wie ist diese Praxis rechtlich einzuordnen?
Wenn eine Person z.B. von Polen aus die Grenze zu Deutschland überschreitet, dabei von der Bundespolizei aufgegriffen wird und ohne Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, wieder mit einem “Einreiseverbot” zurückgeschickt wird, spricht man von einer Zurückweisung.
Eine Zurückweisung kann nur auf Basis der sogenannten “Fiktion der Nicht-Einreise” stattfinden. Das bedeutet, dass die Person so behandelt wird, als hätte sie das Nationalgebiet noch nicht betreten. Strenge Verfahrenrsegelungen, die für eine Abschiebung gelten, müssen deshalb nicht eingehalten werden. Da sie aber ja die physische Grenze schon überschritten hat, folgt auf dieses Einreiseverbot eine Rückführung, in diesem Fall nach Polen.
Im Fall der innereuropäischen Grenzen ist diese Fiktion der Nicht-Einreise aber eigentlich nicht anzunehmen, denn die Grenze in den Schengenraum wurde ja offensichtlich schon überschritten.
- Kann man bei Zurückweisungen von Push-Backs sprechen? Ändert sich etwas an der Art von unrechtmäßiger Abweisung, weil es sich um eine EU-Binnengrenze handelt?
Wenn eine Zurückweisung stattfindet, obwohl ein Asylantrag gestellt wird, handelt es sich um einen illegalen “Push-Back” durch die Bundespolizei. In vielen Fällen von Zurückweisungen ist anzunehmen, dass die Person die Absicht hatte, einen Asylantrag zu stellen. In diesem Fall darf man laut geltendem Asylrecht Schutzsuchenden die Einreise nicht verweigern.
Hinzu kommt, dass die Grenzkontrollen an innereuropäischen Grenzen eigentlich ebenfalls verboten sind. Eine Binnengrenzkontrolle kann laut EU-Recht nur in Ausnahmefällen angeordnet werden, müssen aber nach spätestens 6 Monaten wieder aufgehoben werden. Die Grenzkontrollen in Bayern und Brandenburg brechen also bereits seit längerem EU-Recht. Trotzdem werden Reisedokumente von Bundespolizeibeamt*innen beispielsweise in Zügen kontrolliert.
Unterdessen behauptet Innenministerin Faeser, die Anzahl der Asylanträge in Deutschland würde zurückgehen. Das ist aber sehr unwahrscheinlich, viel wahrscheinlicher ist es, dass Asylgesuche einfach ignoriert und Menschen rechtswidrig zurückgeführt werden.
- Wie lassen sich Zurückweisungen an deutschen Grenzen in die Problematik der EU-Migrationspolitik generell einordnen? Was bedeuten diese für das individuelle Asylrecht und Grund- und Menschenrechte generell?
Besonders mit den Verhandlungen um die GEAS-Reform, aber auch schon vorher und davon unabhängig, ist europäische Politik rund um Asyl und Migration ein rechtlicher Flickenteppich geworden. Grundsätzlich passiert gerade ein Prozess, in welchem demokratische Parteien Gesetze entwerfen und umsetzen, die gegen geltendes Recht verstoßen, also Grund- oder Menschenrechte. Beispielsweise das neue Gesetz zur verpflichtenden gemeinnützigen Arbeit von Asylbewerber*innen. (Verfassungs-)Gerichte müssen dann solche Gesetze prüfen und ggf. blockieren. Das führt wiederum dazu, dass Gerichte zunehmend politisiert und ihre Entscheidungen nicht ernst genommen werden. So entsteht allmählich ein Ungleichgewicht und geltendes Recht gerät ins Wanken.
- Es gibt ja auch noch die Dublin III Verordnung. Wären laut dieser nicht Polen oder Österreich ohnehin vor Deutschland verantwortlich, die Asylgesuche der Personen zu prüfen?
Grundsätzlich ja. Aber auch die Dublin III Verordnung setzt bestimmte formelle Prozesse voraus. Das Ersteinreise-Prinzip gilt zum Beispiel nicht, wenn der/die Asylsuchende bereits Familie in einem anderen EU-Land hat. Sie gilt auch nicht, wenn nachgewiesenermaßen das Land der Ersteinreise nicht in der Lage ist, die menschenrechtlichen Standards der Personen zu wahren. Das kommt zum Beispiel in Griechenland oder Italien öfter vor. Um die Gegebenheiten mit dem eigentlich zuständigen EU-Land zu klären, braucht es also ein förmliches Verfahren, welches bis zu 11 Monate dauern kann. In dieser Zeit und bis die Verantwortlichkeiten geklärt sind, kann die Person also auch von Deutschland nicht ab- oder zurückgewiesen werden. Die rechtswidrigen Zurückweisungen an den deutschen Grenzen haben also mit Dublin III nichts zu tun.
- Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft, was ist das “Worst Case Scenario“, das du dir vorstellen kannst?
Ich würde sagen, das menschenrechtliche Minimum ist schon erreicht an den Binnengrenzen. Was noch ein bisschen schlimmer wäre, wäre wenn Deutschland sich noch berufen fühlen würde, auch die Abschiebungen in Drittstaaten durchzuführen (also Deals wie zwischen Großbritannien und Ruanda). Deutschland ist in der Praxis der Abschiebungen anderen EU-Ländern schon voraus. Zwar lässt auch die GEAS-Reform Drittstaaten-Abkommen wie die “Ruanda-Lösung” nicht zu, allerdings erleben wir gerade schon ein Bröckeln von EU-Recht und Gerichten, so dass nichts unmöglich scheint.
- Was tut ihr als Organisation gegen diese Entwicklungen und wie kann man euch unterstützen?
Bei Equal Rights legen wir unseren Fokus auf juristische Verfahren. Deshalb bringt uns am meisten die Inkenntnissetzung über gerichtliche Entscheidungen in individuellen Fällen und damit verbunden die Möglichkeit, Druck zu erzeugen, dass diese auch umgesetzt werden. So lassen sich Rechtsräume noch erhalten.
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