Vor Gericht: Wir haben 3 Kriminalisierungsverfahren auf Samos begleitet
Februar 26, 2025

Von 17.2 bis 19.2.2025 waren wir mit LeaveNoOneBehind auf Samos und begleiteten insgesamt drei Gerichtsverfahren von Geflüchteten. Die Anklage in allen drei Fällen: Schmuggel. Über 2000 Personen mit Fluchthintergrund teilen momentan dieses Schicksal in griechischen Gefängnissen. Die meisten Menschen, die dieses Urteil erhalten, sind diejenigen, die sich die hohen Preise der echten Schmuggler für die Überfahrt von der Türkei nicht leisten können. Oft willigen sie ein, das Boot mit anderen Schutzsuchenden an Bord zu steuern und werden dann nach der Ankunft direkt von der Küstenwache festgenommen.
Genauso ist es auch den drei jungen Männern aus Syrien passiert, die an diesem Montag in Samos vor Gericht stehen. Dimitris und Ioanna sind die Anwält*innen des Human Rights Legal Project Samos (HRLP). Sie vertreten heute die drei Angeklagten, die ohne sie keine Chance auf eine Freilassung hätten. Auch die beiden Verteidiger*innen kennen die Details der drei Fälle erst seit zwei Wochen. Sie haben sich eingearbeitet, Dokumente gesammelt und geordnet und ihre Argumente vorbereitet.
Zwei der jungen Männer sind alleine in Griechenland angekommen, sie haben keine Familie und keine Freund*innen hier. Der Dritte floh aus Syrien mit seiner Frau und ihrer kleinen Tochter, doch er schickte sie vor, weil das Geld nicht reichte für alle drei. Die Frau und die Tochter sind in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt und leben in Athen. 9 Monate später hatte er immer noch nicht genug Geld für seine eigene Überfahrt. Deshalb gab er dem Schmuggler, was er hatte, und willigte ein, das Boot mit 6 weiteren Flüchtenden von der Türkei nach Griechenland zu steuern. An Land wurde er festgenommen und ohne Anhörung inhaftiert.
Am 16.2, dem Sonntag vor dem Gerichtstermin, gehen wir gemeinsam mit den zwei Anwält*innen Dimitris und Ioanna ins Gefängnis von Samos. Der Angeklagte wurde für die Anhörung aus dem Gefängnis in Athen übersandt und sie wollen ein letztes Mal mit ihm sprechen und ihn vorbereiten. In einem Raum hinter dicken Gittern sind in etwa 20 Personen eingesperrt. Dort verbringen sie mehrere Tage und Nächte bis zu ihren Terminen.
Auch die Frau und die Tochter des jungen Syrers sind für den Gerichtstermin aus Athen angereist, die Frau soll morgen aussagen.
Dimitris erklärt mit einer Arabisch-Übersetzerin der sehr nervösen Frau, wie sie morgen auszusagen hat.
„Er kam für sie und die Tochter nach Griechenland. Er hatte keine anderen Absichten, als zu seiner Familie zu stoßen. Er ist ein guter Vater, ein guter Mensch. Er will nur für seine Frau und die Kleine da sein.“
Die beiden dürfen ihm kurz Hallo sagen und ihn fragen, ob er etwas braucht bis morgen. Die 5-Jährige geht an die Gitterstäbe und drückt die Hand von ihrem Papa.
Dimitris und Ioanna haben alle drei Angeklagten so gut es geht auf das Verfahren vorbereitet und sich ihre Strategie zurechtgelegt. Es ist die Strategie, die in den letzten Monaten immer wirkte: Sie geben sich freundlich mit der Richterin, setzen auf ihre Menschlichkeit und ihr Verständnis. Heute leider vergebens. Für zwei der drei Angeklagten lautet das Urteil weiterhin schuldig und die Höchststrafe, 25 Jahre Freiheitsentzug, wird verhängt. Nur der junge Syrer mit der Familie bekommt ein milderes Urteil, weil er weniger in das Profil eines „Schmugglers“ passt. Die anderen beiden zwar auch nicht, aber das interessiert weder Richterin noch Staatsanwältin.
Während die syrische Familie erleichtert und überglücklich ist, sind Ioanna und Dimitris dennoch enttäuscht und haben eine böse Vorahnung.
„Das waren die strengsten Urteile seit 7 Jahren“, erzählt Ioanna nach Ende der Verhandlungen.
„Wir sind froh, dass zumindest einer der dreien seine Freiheit wieder hat nach allem, was er durchgemacht hat. Offenbar gab es eine Art Memo vom Supreme Court, Flüchtlinge sollen härter bestraft werden. Alle Argumente und unsere Beziehungsarbeit mit den Richter*innen aus den letzten Monaten könnten jetzt umsonst gewesen sein.“
In den nächsten Tagen sehen wir noch ein paarmal die Frau des Syrers und ihre Tochter im Dorfzentrum. Wir begrüßen uns immer herzlich und die Kleine winkt uns zu. Bald fahren sie zurück nach Athen und ihr Vater wird in wenigen Tagen aus dem Gefängnis dort entlassen. Wir hoffen, dass sie ab jetzt eine unbeschwerte Kindheit haben wird und dass die Familie eine gute Zukunft in Griechenland – oder wo auch immer es sie hin verschlägt – haben wird.
Für die anderen beiden wird es in etwa einem Jahr Berufungsprozesse geben. Die Anwält*innen werden sie dort noch einmal vertreten und alles für ihre Freilassung geben.
Damit Dimitris, Ioanna und das Team von HRLP weiter ihre solidarische Arbeit für kriminalisierte Geflüchtete machen können, sind sie auf Spenden angewiesen. Hier könnt ihr das Team auf Samos unterstützen:
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