Bundesregierung stimmt Asylrechtsverschärfung zu: ein Faktencheck
Juni 9, 2023
Was ist passiert?
Die deutsche Bundesregierung hat der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zugestimmt, und sich damit für ein Europa eingesetzt, in dem Kinder pauschal in de-facto Haft gesteckt werden und es für viele Menschen kaum Chancen auf Asyl gibt. Jetzt rechtfertigt die Regierung diese Zustimmung mit einer Reihe von Falschinformationen.
Hier ein Faktencheck:
1.
Der Kompromiss, auf den wir uns nun geeinigt haben, ist Ergebnis eines harten Ringens. Aber wir haben nun eine Einigung, die erstmals verpflichtende Solidarität festschreibt, ein Mindestmaß an Verteilung garantiert und die Außengrenzstaaten spürbar entlastet.
Annalena Baerbock begründet die Zustimmung mit einer erreichten verpflichtenden Solidarität unter den Mitgliedstaaten. Das stimmt so nicht. Eine verpflichtende Verteilung wurde nicht erreicht. Aus dem Solidaritätsmechanismus kann man sich freikaufen, indem man migrationsabwehrende Maßnahmen in Drittstaaten wie bspw. Zäune im Sudan oder der sogenannten libyschen Küstenwache finanziert.
2.
Entscheidend war für uns, dass die Verfahren so gestaltet sind, dass das individuelle Recht auf Asyl in seinem Wesenskern nicht angetastet wird. Auch im Grenzverfahren muss jeder Antrag individuell geprüft werden.
Außerdem sei wichtig gewesen, dass das “individuelle Recht auf Asyl im Wesenskern nicht angetastet wird”. Seit Monaten warnen allerdings Wissenschaftler*innen aus dem Migrationsbereich davor, dass verpflichtende Grenzverfahren für viele Menschen den Zugang zu Asyl unmöglich machen werden.
3.
Klar ist aber auch: Die Verfahren an den Außengrenzen sollen nicht für Menschen gelten, die vor Folter, Krieg und Terror geflohen sind. Sondern es geht um schnelle und faire Asylverfahren für diejenigen, bei denen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie in der EU Schutz benötigen. In diesen Verfahren setzen wir auf hohe rechtsstaatliche Standards und konsequenten Menschenrechtsschutz. Wir wollen, dass jeder ein faires Asylverfahren und Rechtsschutz erhält.
Nancy Faeser behauptet außerdem, dass Menschen, die vor Krieg, Folter und Terror geflohen sind, nicht in Grenzverfahren kommen würden. Das ist falsch. Schon heute sind Menschen aus Syrien die Hauptbetroffenen von Grenzverfahren, da sie über den “sicheren Drittstaat” Türkei fliehen. Dass sie ursprünglich aus Syrien kommen, spielt im Grenzverfahren dann keine Rolle mehr, sondern nur, dass sie sich bereits in der Türkei befanden. Auch Annalena Baerbock teilt diese falsche Darstellung.
Gemeinsam mit der Kommission hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass diese Verfahren nur für einen begrenzten Teil der Geflüchteten gelten – nämlich für jene, die aus Ländern mit nur geringer Bleibeperspektive kommen, die also kaum darauf hoffen können, dass ihr Asylantrag positiv entschieden wird. Für Geflüchtete mit einer hohen Schutzquote hingegen, die an der Außengrenze ankommen – also Syrer, Afghanen, Iraker – gelten diese Grenzverfahren also nicht!
4.
Laut Annalena Baerbock geht es darum, Zustände wie Moria zu verhindern. Faktisch wird diese Reform zu Massenlagern, Haftzentren und letztendlich Zuständen wie in Moria führen.
Viele von uns haben die furchtbaren Zustände auf Lesbos vor Ort gesehen und werden sie wohl nie vergessen können. Uns ging es deswegen darum, Maßnahmen zu ergreifen, damit es nicht wieder zu Zuständen wie in Moria kommen kann.
5.
Faeser schreibt, dass die Reform Ordnung schaffen würde. Diese Reform wird, sollte sie nach Verhandlungen mit dem Parlament umgesetzt werden, allerdings für viel Chaos sorgen. Niemand weiß, wie diese Verschärfungen überhaupt auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollen. Der Kurs, der seit Jahren Entrechtung schafft, wird verschärft – davon wird niemand etwas haben außer rechter Kräfte, die das Chaos für weitere Hetze gegen Geflüchtete instrumentalisieren werden.
Jetzt können wir endlich für eine verlässliche Steuerung und Ordnung der Migration sorgen. Wir können damit endlich zu einer neuen, solidarischeren Migrationspolitik kommen.
Ist jetzt alles verloren?
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Der Rat und das Parlament gehen jetzt in den Trilog, um eine finale Position zu finden. Die Asylrechtsverschärfungen sind also noch nicht final, aber die Position des Rates mit deutscher Zustimmung ist ein gefährlicher Dammbruch.
Und jetzt?
Verordnungen wie diese sind nur möglich, weil seit Jahren systematisch Hetze gegen Geflüchtete vorangetrieben wird. Die Debatte ist von Populismus und Falschinformationen geprägt. Es ist unser aller Aufgabe dagegen anzuhalten, damit diese Hetze nicht in weitere Reformen und Gesetze gegossen wird.
Schreibt euren Abgeordneten, stellt Fragen, werdet unbequem. Wir dürfen diesen Rechtsruck nicht einfach mit ansehen:
Related News
Wir werden aktiv, wo Staaten versagen. Aber nur mit deiner Unterstützung!
Mit unserer Arbeit üben wir Druck auf die deutsche Politik aus, Verantwortung zu übernehmen und endlich etwas zu ändern! Eure Spenden werden für die #LeaveNoOneBehind-Kampagne eingesetzt: Für unsere eigenen Projekte, sowie für geförderte Projekte und Organisationen, die dringend notwendige Unterstützung an den EU-Außengrenzen und auf den Fluchtrouten leisten.