Polen und die neue „Rote Zone“

Juli 12, 2024

Nicht nur die polnische Zivilgesellschaft, sondern die ganze Welt schaute vor einem Jahr noch hoffnungsvoll auf den Regierungswechsel in Polen. Donald Tusk, vor zwei Jahren noch  in der parlamentarischen Opposition in Polen, verurteilte damals die Grenzschutz-Maßnahmen der rechtsnationalen PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość – “Recht und Gerechtigkeit”) aufs Schärfste. Während die PiS Grenzzäune mit Videoüberwachung und Stacheldraht errichtete und die Grenzschutzpolizei zu hartem Vorgehen gegen Migrant*innen anwies, erklärte Tusk, dass unmenschliche Propaganda keine Lösung für den Umgang mit Einwanderung sei. 

Nachdem am 6.Juni 2024 schließlich ein polnischer Soldat an der Grenze durch einen Messerangriff getötet wurde, drehte sich die Rhetorik des nun amtierenden Premierministers Tusk zurück zur pauschalisierenden Abschottungs- und Sicherheitsdebatte von zuvor – oder sogar schlimmer noch: Tusk bezeichnete Migrant*innen als “menschliche Bomben” und sagte weiter, „Die Möglichkeit des Einsatzes von Gewalt und Waffen in einer bedrohlichen Situation muss für einen polnischen Soldaten oder Offizier bei der Verteidigung der Grenze möglich sein“.

Als direkte Reaktion darauf etablierte Tusk außerdem erneut die sogenannte “Rote Zone”. Erstmals eingeführt wurde dieser abgeriegelte Streifen auf polnischem Gebiet 2022, nachdem der belarussische Machthaber Lukashenko begann, Geflüchtete gezielt mit Visa nach Belarus einzuladen, um sie über die polnische Grenze in die EU zu leiten. Die Antwort der rechten polnischen Regierung von damals? – Reine Gewalt und Entrechtung gegenüber den Betroffenen. Abgeriegelt und bewacht durch Soldaten sollte außerdem keine Berichterstattung durch Journalist*innen und keine Linderung der humanitären Notlage durch NGOs mehr möglich sein.

Der damals noch so liberal auftretende Tusk ist jetzt verantwortlich für die Neuauflage der Grenzzone. Zwischen 200 Metern und 2 Kilometern breit bietet sie erneut die Grundlage für einen rechtsfreien Raum und zur Ausuferung der Gewalt gegen Geflüchtete. 

Hilfe leisten wird schwieriger – doch die Grupa Granica macht weiter

“Helfen ist nicht illegal, aber es wird immer schwieriger und die Regierung versucht uns zunehmend zu kriminalisieren.”, erzählt uns ein Aktivist der Fundacja Bezkres, einer Initiative aus dem Bündnis Grupa Granica. 

“Vor März 2022 gab es unzählige Organisationen und Freiwillige, die helfen wollten. Jetzt gibt es nur noch wenige, die mutig genug sind, den Grenzabschnitt zu betreten und Geflüchtete vor Ort zu versorgen.”

Die Fundacja Bezkres betreibt eine Hilfshotline für Menschen, die im Wald stranden. Die Schutzsuchenden geben ihnen Standorte in Form von Bildern und Koordinaten durch. Die Aktivist*innen versuchen dann, den Ort ausfindig zu machen und informieren gleichzeitig die Grenzpolizei über die Ankunft von Menschen auf polnischem Gebiet. Mit dieser Strategie zwingen sie die Grenzbeamten dazu, den Grenzübertritt der Personen anzuerkennen und ihnen einen Asylantrag zu ermöglichen. 

Doch was ist mit den Menschen, denen es nicht gelingt, ihre Koordinaten durchzugeben? 

Oft werden Gruppen und sogar Familien mit kleinen Kindern im Wald mehrmals hin- und her gedrängt und immer wieder von polnischer Seite zurück nach Belarus gepushbackt. Die Grenzsoldaten zerschlagen Telefone und Powerbanks, um die Orientierung und Kommunikation mit der Außenwelt für die Gestrandeten unmöglich zu machen. Oft werden die Geflüchteten von den Soldaten geschlagen und gedemütigt. Und nicht selten verlieren Menschen unter den unaushaltbaren Umständen im Wald ihr Leben.

“Unsere Sanitäter*innen und Ärzt*innen versorgen auch diejenigen, die bei der gewaltvollen Zurückdrängung durch die Grenzpolizei verletzt wurden. Und ebenso diejenigen, die unterkühlt und dehydriert sind.”, erzählt der humanitäre Helfer.

Eine Besserung der katastrophalen Situation ist laut den Aktivisti gerade kaum in Sicht. 

Für uns aber ist klar, dass wir die überlebenswichtige Arbeit der Grupa Granica weiter unterstützen werden! 

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